1848-1918

Peter Bohne

1848 - 1918 - Von der Gründung 1848 bis zum 1. Weltkrieg

Gründungsanzeige1848Gründungsanzeige 1848Das erste Kapitel überdeckt einen langen Zeitraum mit unterschiedlichen historischen Epochen.

Osnabrück gehörte seit 1803/1815 (Reichsdeputationshauptschluß, Napoleonische Kriege, Wiener Kongreß) zum Königreich Hannover. Dieses wurde 1866 nach dem Deutschen Krieg Preußens gegen Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland von Preußen annektiert und in den 1867 konstituierten Norddeutschen Bund eingebracht. Seit der Reichsgründung 1871 gehörte Osnabrück somit innerhalb des Deutschen Reiches zum Staat Preußen und hier zur Provinz Hannover. (Ungeachtet des Wechsels der Staatsform blieb das so bis 1945.) Im „Deutschen Kaiserreich“ (1871-1918) war Kulturund Schulpolitik Sacher der Einzelstaaten.

Wegen fehlender Zeitzeugen muß die Darstellung der Schulgeschichte im 1. Kapitel schlanker als in den anderen Teilen des Bandes ausfallen. Quellen sind im wesentlichen die Reste der Schulakten im Niedersächsischen Staatsarchiv zu Osnabrück 1 und in Teilbereichen auch die Schrift von Gisela Wagner.2

Die Anfänge

Festschrift 1898In der Festschrift zum 50jährigen Bestehen der städtischen höheren Mädchenschule aus dem Jahr 1898 3 finden wir Daten aus der Anfangszeit der Mädchenschulen in Osnabrück.

Explizit werden zwei „höhere Privat-TöchterInstitute“ genannt, die es zu größerem An-sehen gebracht haben: das „im Jahre 1794 von der Witwe C.M.Bindseil gegründet(e)“, welches bis 1819 bestand, und das „Vezin’sche Institut“.

„Dieses wurde 1810 von Fräulein Cécile Vezin im Hause ihres Vaters, Kamp Nr. 5, gegründet und bestand ... bis Ostern 1848.“ Nach Schließung der Schule gingen die katholischen Schülerinnen auf die „von Bischof Lüpke gegründete, jetzt noch bestehende höhere Privat-TöchterSchule“ über.

Auf evangelischer Seite bestand also Handlungsbedarf. Eine Kommission, welcher auch der berühmte Osnabrücker Bürgermeister C.B.Stüve angehörte, „beauftragte den Inspektor Schüren, einen Plan für die Errichtung einer öffentlichen höheren Töchterschule auszuarbeiten.“ Schüren stellte dazu die folgenden „Grundzüge“ auf: „Die neu zu begründende Schule, die gar keine Fonds besitzt und alle Ausgaben aus den Schulgeldern bestreiten muss, ist in enge Verbindung mit der Bürgerschule zu bringen.

Zu diesem Zwecke sollen die Schülerinnen bis zum vollendeten neunten Jahr die Bürgerschule besuchen und dann erst in die Töchterschule eintreten. Diese soll drei Klassen und jede Klasse eine Klassenlehrerin haben, welche täglich drei Stunden selbst zu unterrichten hat und ausserdem aus Rücksichten der Disciplin in den Stunden der Lehrer zugegen sein muss.“ „Die Schulkommission kaufte im Februar das Haus der Konventualin Reuss, Altemünze Nr. 13, und liess es im Laufe des Jahres für die Aufnahme einer dreiklassigen Schule und eines ... Pensionats einrichten.

Stundentafel 1875/76 Unter dem 6. April zeigten dann die Leiter der Schule, die Pastoren Wübbel und Bischoff, in den „Osnabrückischen Anzeigen“ an, „dass der hochlöbliche Magistrat sie beauftragt habe, eine Schule für Töchter ins Leben zu rufen, und dass dieselbe nach Ostern an einem noch näher zu bestimmenden Tag eröffnet werden solle.“ 4 „Dies geschah am 15. Mai im Könemannschen, später Tanzlehrer Zangenbergschen Hause, Grossestrasse Nr. 92, und zwar mit zwei Klassen, von denen die erste 32, die zweite 29 Schülerinnen zählte. Im Laufe des Jahres kamen noch acht Schülerinnen hinzu.“ ... „Mit Beginn des neuen Schuljahres (1849) wurde das Schulgebäude am Katharinenkirchhofe bezogen und eine dritte Klasse eingerichtet“. Die „Klassen“ waren noch nicht Jahrgangsstufen, die mit einer Versetzung weiterführten, sondern in heutiger Terminologie differenzierte Lerngemeinschaften in einer individualisierten Form, die selbst die reformierte Oberstufe unserer Tage in den Schatten stellt. (Allerdings gab es weder Rahmenrichtlinien noch „Einheitliche Prüfungsanforderungen“.)

Die Mädchen nahmen je nach individuellem Leistungsstand in den einzelnen Fächern am Unterricht verschiedener Gruppen teil, Wahl oder Abwahl bestimmter Fächer wurde von den Eltern bestimmt. So hatte die Schule den Charakter einer kleinen Privatschule. Nur zwei (1848) bis fünf (1868) Lehrerinnen waren an ihr hauptamtlich tätig, hinzu kamen nebenamtlich tätige Lehrkräfte von anderen Schulen.

In der „preußischen Zeit“ nahm die Schule einen beträchtlichen Aufschwung, sie erhielt 1868 ein eigenes, hinreichend großes Lehrerkollegium, das neben Lehrkräften mit Seminarausbildung auch Universitätsabsolventen Die Numerierung ist umgekehrt wie heute, Klasse 10 umfaßt die Schulanfängerinnen, Klasse 1 ist die Abschlußklasse 4 enthielt.

Seit 1869 sind Konferenzprotokolle, seit 1874 auch (gedruckte) Jahresberichte vorhanden. So wurden z.B. 1869 die Grundsätze zur „Dispension von Unterrichtsgegenständen“ definiert und verschärft: „Während des Konfirmandenunterrichts können Kinder auf Wunsch der Eltern vom Religionsunterricht dispensiert werden; alle übrigen Dispensionen können nur auf Grund eines ärztlichen Scheines stattfinden.“ 5 Seit 1869 finden sich auch Ansätze von Lehrplänen. So werden z.B. als „Ziele“ des Französischunterrichts laut Konferenzprotokoll vom 28.5.1872 von Direktor Swart genannt: "

  1. Formale Bildung; der Unterricht muß so betrieben werden, daß die Seelenkräfte des Kindes ... gestärkt werden.
  2. der stoffliche Zweck, betreffend Einführung in fremde Literatur.
  3. der praktische Zweck; die Kinder sollen ... sich mündlich und schriftlich korrekt ausdrücken lernen.“ 6

Bei leichter Umformulierung (setze z.B. „Ichstärke“ für „Seelenkraft“) könnte es sich um „übergeordnete Lernziele“ heutiger Zeit handeln.

Architektenzeichnung 1876 Grund- und AufrißFranzösisch war 1. Fremdsprache und wurde vom vollendeten 9. Lebensjahr an gelernt, vgl. die Stundentafeln aus dem Jahresbericht von 1876. 7 Liegen bereits hier die Wurzeln des Französisch-Schwerpunkts am jetzigen Gymnasium „In der Wüste“? Die Schule ist ab 1872 mit 10 Jahrgangsklassen für die damalige Zeit schon sehr weit ausgebaut, erst in der Schulreform von 1908 wird vom Land die zehnklassige höhere Mädchenschule gefordert! 1874 wird laut Schulchronik von 1898 „auf Beschluß der städtischen Kollegien ... die als evangelische Schule gegründete Anstalt in eine simultane umgewandelt.“ 8Spätestens ab 1874 kann wohl auch von einem „geordneten Schulbetrieb“ im heutigen Sinne gesprochen werden. Es gibt einen verbindlichen Lehrplan für alle Fächer, der sogar gedruckt vorliegt, Jahrgangsklassen und natürlich Versetzungen. Daß es hier bisweilen Probleme gab, die Erwartungen der bürgerlichen Klientel mit den Forderungen der Schule in Einklang zu bringen, belegen die folgenden Worte des Schulleiters. 9 Auch der Bonus, den leistungsschwache Schülerinnen erhalten, wenn sie nur fleißig sind, läßt möglicherweise Parallelen in der heutigen Zeit erkennen.

„Die Versetzung oder Nichtversetzung ist an sich nicht als Lohn oder Strafe anzusehen, wenngleich ein Nichtaufrücken natürlich die Folge eigener Verschuldung sein kann und andererseits der gewissenhaften, fleißigen Schülerin die Mängel in ihren Leistungen eher nachgesehen werden dürfen, als der leichtsinnigen und trägen. Diese sowie das Lebensalter kann und muß unter Umständen neben den Kenntnissen bei der Frage, ob eine Schülerin zu versetzen oder in der Klasse zurückzulassen sei, berücksichtigt werden. Dagegen können für uns Gründe, daß sie doch nicht gut aus der bisherigen Klasse konfirmiert werden könne, mit einer Freundin in derselben Klasse sein oder nicht allein sitzen bleiben wolle oder gar die Körpergröße nicht maßgebend sein; selbst den zuweilen angeführten verletzten Ehrgeiz können wir nicht gelten lassen.“

Die Schule am Wall

Klassenfoto mit Direktor, ca. 1882Da bei ständigem Wachstum der Schülerzahlen die Räume nicht mehr ausreichten, wurde in den Jahren 1874 bis 1876 ein für damalige Zeit vorbildlicher Neubau errichtet. „Als Bauplatz wählte man ein nach Osten an einem freien Platze der in der Entstehung begriffenen Ringoder Wallstraße, nach Süden an der Martinistraße, nach Norden an der Katharinenstraße gelegenes und nur nach Westen von Privatgrundstücken begrenztes ... Grundstück ... in freier, ruhiger und doch von der Mitte der Stadt nur wenig entfernter Lage.“ 10 Die hier noch namenlose Wallstraße erhielt zuerst den Namen „Kanzlerwall“, später „Braunauer Wall“, heute „Heger-Tor-Wall“.

Im Volksmund sprach man aber fast 100 Jahre lang immer nur von der Schule „am Wall“.

Seit 1853 gab es ein Konkurrenzunternehmen zur städtischen Mädchenschule, die Rautenbergische Privattöchterschule. Nach Wagner 11 war sie von einigen bekannten Osnabrücker Familien gegründet worden, „die in ihrer strenggläubigen protestantischen Gesinnung Sorge gehabt hatten, ihre Töchter möchten auf der städtischen Schule nicht die religiös-sittliche Erziehung erhalten, die sie für sie wünschten.“ 1885/86 wurden aber alle Schülerinnen und Lehrkräfte in die Schule am Wall integriert, deren Schülerinnenzahl damit von 331 auf 416 stieg.

Stundentafel 1914Ab 1877 erfolgte die Einrichtung eines Architektenzeichnung 1876 Grundund Aufriß 5Lehrerinnenseminars, also einer nichtakademischen Ausbildungsstätte für Lehrerinnen. Nach erfolgreichem Abschluß der 10klassigen Töchterschule waren drei (ab 1908 vier) Seminarklassen zu absolvieren. 1892 wurden am Wall die ersten „eigenen“ Prüfungen abgenommen, 1907 begann der Aufbau einer achtklassigen Mädchenmittelschule als „Übungsschule“ für die Seminarausbildung.

Am 15. Mai 1898 beging man festlich im Stil der Kaiserzeit das 50jährige Jubiläum.

Bürgermeister Westerkamp lobte die Schule als „Kleinod unserer Stadt und ein vollwertiges Glied in der Kette der zahlreichen und kräftigen Erziehungsanstalten, die von den Mauern unserer Stadt umschlossen werden.“ (Osnabrücker Tageblatt vom 18.05.1898) Eine Passage aus dem Zeitungsbericht: „Aus fast allen Teilen des Reiches waren Grüße von früheren Schülerinnen und Lehrern eingegangen ... . Stürmische Heiterkeit rief ein Telegramm hervor, in welchem Göttinger Musensöhne der höheren Mädchenschule gedachten und der Jubilarin wünschten, daß auch in Zukunft ihre Beziehungen zum Gymnasium wachsen, blühen und gedeihen mögen.“ 1899 stellte die Stadt das Haus Martinistraße 4 für die Seminarklassen zur Verfügung, 1907 wurde ein großzügiger Umund Erweiterungsbau beider Häuser eingeweiht. Die Schülerinnenzahl war inzwischen auf über 600 angewachsen.

Die Stundentafeln aus dem Jahresbericht von 1914 12 vermitteln einen guten Eindruck von der Größe der Schule und der Schwerpunktsetzung im Unterricht.

Die preußische Schulreform von 1908 hatte hier u.a. zu einer stärkeren Berücksichtigung der „Realien“ Mathematik (bisher gab es nur „Rechnen“) und „Naturkunde“ geführt. Bei der Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens durch die erwähnte Reform war auch bereits die Errichtung von „StudienanKlassenfoto mit Direktor, ca. 1882 Stundentafel 1914 6stalten“, welche zur Universitätsreife führen sollten, und „Frauenschulen“ vorgesehen. Eine Realisierung „am Wall“ erfolgte jedoch erst nach dem 1.Weltkrieg.

Schülerinnengruppe im Feststaat, ganz rechts Elisabeth Eichmeyer, geb. 1871, Großmutter von Liselotte JacobsenDie Schule am Wall hat Generationen von Schülerinnen geprägt. Ein schönes Beispiel für die Treue von Osnabrücker Familien gegenüber ihrer Mädchenschule bringt Liselotte Jacobsen, geb. Imeyer, die 1947 „am Wall“ ihr Abitur ablegte. Während ihre Urgroßmutter noch die Rautenbergsche Schule besucht hatte, waren Großmutter und Mutter Schülerinnen der städtischen Schule am Wall. Aus deren alten Familienalben stammen die Personenaufnahmen in diesem Kapitel.

Die älteste (ungenannte) Zeitzeugin, 1907 geboren, hatte das Lyzeum, die 10-klassige höhere Mädchenschule, von 1913 bis 1924 besucht, dabei eine Klasse wiederholt. Sie hatte, wie sie im Interview betonte, keine positiven Erinnerungen an die Schulzeit, weil sie in Mathematik und in Sprachen keine gute Schülerin gewesen sei und in ihren Neigungsfächern nur Unordentliches zustande gebracht habe, da sie als Linkshänderin mit der rechten Hand schreiben, malen und handarbeiten mußte. In ihren Erinnerungen spielten weniger politische Ereignisse als vielmehr namhafte Osnabrücker Familien und städtebauliche Veränderungen in der Innenstadt eine Rolle. Das Lyzeum kam als Schule der höheren und aufstrebenden gesellschaftlichen Schichten in den Blickpunkt.

Abschlußklasse 1914 mit Schülerinnenmützen, 8. von links: Tante von Liselotte JacobsenDas Schulwesen war schon im Primarbereich dreigliedrig. Allein die Volksschule war schulgeldfrei, an der Bürgerschule zahlte man etwa halb so viel Schulgeld wie an der höheren Schule, z.B. dem Lyzeum.

Schülerinnengruppe im Feststaat, ganz rechts Elisabeth Eichmeyer, geb. 1871, Großmutter von Liselotte Jacobsen Abschlußklasse 1914 mit Schülerinnenmützen, 8. von links: Tante von Liselotte Jacobsen 78

 

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